Weil der Mensch die Welt in sich trägt

Una Mannions Romandebüt „Licht zwischen den Bäumen“

In jeder Familie – so meint man – gibt es ein schwarzes Schaf. Aber das wäre zu einfach für eine Autorin, die schreiben kann wie Una Mannion. So viel mehr Geschick bedarf es, ein Familienbild zu entwerfen, da alles in Ordnung ist. Keine Leichen im Keller jedenfalls, kein Schulschwänzen, keine harten Drogen, keine Verweigerung des kleinbürgerlichen Lebens. Doch es brodelt in den Tiefen.

Mannion führt uns nach Pennsylviania, wo eines Abends die Mutter von fünf Kindern am letzten Tag vor den Sommerferien eines der Kinder unterwegs aus dem Auto aussteigen lässt. Mitten im Niemandsland, im Wald, an der Straße lässt sie die zwölfjährige Ellen zurück und fährt weiter. Einfach so.

Jede Einwirkung von außen lässt die Fassade mehr bröckeln

Ratlos zurück lässt sie dabei auch die Geschwister, die mit im Auto sitzen. Libby erzählt davon und wie sie mit ihrer Mutter und Ellen, Marie, Thomas und der Kleinsten, Beatrice, in einem Haus am Wald wohnt. Der Vorfall mit dem Rausschmiss bringt zutage, wie unecht das Familienglück ist. Jede Einwirkung von außen lässt die Fassade mehr bröckeln. Da ist dieser mysteriöse Mann, der Ellen an jenem Tag kurzzeitig gekidnappt hatte, dann ein undurchsichtiger Wilson McVay, der sich um die Rache und den Rasen kümmert. Als wäre das nicht genug, zieht Marie, die große Schwester aus, sie hatte die Familie zusammengehalten.

Tropfen für Tropfen hat sich das gesammelt in einem Fass, das nun überläuft. Nein, übersprudelt.

Das Unausgesprochene in der Familie hat bei den Teenagern zu Unsicherheit, zur Wurzellosigkeit und einem tief sitzenden Misstrauen geführt. Libby, deren Erwachsenwerdung der Roman begleitet, will die Welt in Ordnung halten oder bringen.

So zeichnet Mannion ein Bild von Kindern, die kleine Persönlichkeiten sind und an denen man sich vergeht, wenn man sie nicht ernst nimmt, sich ihnen nicht widmet und sie kein Vertrauen haben können. Das ist nichts anderes als seelische Gewalt.

In der Natur läuft es in geregelten Bahnen

Libbys Eltern hatten sich getrennt, mittlerweile ist der Vater verstorben und ihren neuen Freund hält die Mutter geheim. Da hält Libby sich der Vergangenheit fest, an Naturerklärungen des Vaters, denn dort scheint alles in geregelten Bahnen. Der Vater hat Libby etwas über die Natur beigebracht, über Pflanzen, über das Verhältnis von Mensch und Natur. Die Jugendliche zehrt davon und tut es ihm gleich: den Wald erspüren, ihm lauschen, wie die Ureinwohner es über viele tausend Jahre hinweg vorgemacht haben. Das, so hatte der Vater es sie gelehrt, sei das Verhältnis, das „der Mensch eigentlich zur Erde haben sollte – leise, instinktiv und respektvoll“.

Die Wälder, in denen die Schwestern sich ihr Königreich erschufen, sind Phantasieland, Rückzugsort, aber auch das bedrohliche Fremde.

Dialoge aus dem Leben gegriffen

Der Fortgang der Geschichte ist so spannend, dass man stellenweise unweigerlich den Atem anhält, es saugt einen ein. Mannions Dialoge sind aus dem Leben gegriffen. Sie ist Meisterin des Atmosphärischen, der genauen Beobachtung, wenn z.B. nach einem Wildunfall drei Menschen um das tote Tier herumstehen, in totaler Stille, aber Libby nimmt plötzlich das Zirpen der Grillen wahr, so laut, dass ihr „schleierhaft war, wieso (sie) es nicht schon vorher gehört hatte“.

Auf den letzten 45 Seiten wird der Roman zum Thriller, dieser Einbruch von Gewalt, so vehement, überraschte mich. Gerade im Stillen fand ich die Geschichte so viel schärfer und überzeugend erzählt. Dennoch – es ist ein Lesefutter, wie man es sich wünscht.

Ein Buch über Loyalität und Liebe, enttäuschte Liebe auch, die Fragen suchender Jugendlicher. Jeder trägt eine Welt in sich. Wie viel davon dringt nach außen?

Die Autorin mit irischem Vater wurde in Pennsylvania als sechstes von acht Kindern geboren und wohnt seit den 1990er Jahren in Irland, County Sligo.

Beate Lemcke

Gelesen habe ich das unkorrigierte Vorabexemplar, aus dem Englischen von Tanja Handels, Steidl Verlag, 344 Seiten, 24 Euro

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