Wie ein Haufen Hundewelpen

John Banvilles Roman „Singularitäten“

Jeder führt hier jeden ein bisschen an der Nase herum. Der Autor seine Leser, der Auftraggeber eines Biographen diesen, der gehörnte Ehemann die Frau und vice versa, der Chauffeur seine Fahrgäste undsoweiterundsofort. Der Autor kennt sich aus mit Verwirrspiel und grobem Scherz, ist er doch selber vor Jahren einmal Opfer eines solchen geworden als er – schon lange als Anwärter auf den Literaturnobelpreis gehandelt – einen Anruf mit Stockholmer Vorwahlnummer bekam. Im Roman findet sich eine Anspielung darauf. Da ist es der Hutzliputzli-Preis für Hitzlibitzli.

Ist es nicht immer April, wenn etwas passiert?

Das komödiantische Hin und Her biegt Spannungsbögen und lässt sie wieder erschlaffen. Das einzige was nie erschlafft, ist die Sprachgewandtheit und Bildgewalt auch dieses Romans von John Banville. Darin ist er ganz das Gegenteil von Jaybey, dem Haupthelden, der einmal von sich meint „Alle meine Wörter haben heut zwei linke Hände“. Der ehedem gefeierte und jetzt vergessene Biograph Isaac Newtons, William Jaybey, erhält den Auftrag, die Lebensgeschichte von Adam Godley aufzuschreiben. Auftraggeber ist dessen Sohn, der ihn bittet, ins Familienanwesen Arden House zu übersiedeln, um seine Recherche voranzubringen. Adam Godley (der Sohn) will ihm unter anderem die Gruft zeigen, in der die Schriften seines Vaters verwahrt sind.

Jetzt sind wir Leser also mit auf diesem Anwesen und gelangen schließlich bis ins Obergeschoss des Landhauses, wo die Witwe des zu Porträtierenden zwischen vielen Decken auf einem Divan kaum auffindbar ihr Dasein fristet. Banvilles Humor ist zuweilen fast flapsig, zum Beispiel, wenn zu lesen ist „Es war April; ist es nicht immer April, wenn was passiert?“. Dann wieder philosophisch: „Godley hat uns gezeigt, dass wir…die Welt allein dadurch, dass wir…über sie nachdenken, permanent abnutzen“.

Manche Figuren schauen nur kurz vorbei

Adam Godley (der Alte) ist Schöpfer der Brahma-Theorie, einer Neubestimmung des grundsätzlichen Wesens der Realität. Die Naturgesetze werden neu interpretiert, denn gewiss ist nur, dass nichts gewiss ist. Godley war einer, der Versteck spielte, Spuren verwischte und so die Nachwelt grübeln ließ.

So bringt auch der Autor die Leser ins Grübeln, manchmal wirbeln die Figuren nur so durcheinander, das Ganze wirkt spielerisch und verspielt wie ein Haufen Hundewelpen. Manche Figur lernen wir näher kennen, andere schauen nur kurz vorbei.

Der Autor nutzt das Stilmittel der direkten Ansprache seines Lesepublikums durch den Biographen. „…ich hatte Ihnen ja versprochen, noch dies und das zu erzählen…“ Das alles mutet wie ein Spiel an, ein Rate- und Versteckspiel. Die Puzzleteile liegen verstreut und sobald man vermeint, den Dreh rauszuhaben, entgleitet einem der rote Faden wieder.

Wie zu vernehmen, tauchen viele Figuren aus älteren Romanen von Banville auf. Inwieweit deren Kenntnis das Lesevergnügen noch weiter steigern würde, kann ich nicht beurteilen, da ich bislang nur einerseits mit großem literarischen Genuss „Die See“ las und mit ähnlich großem Verdruss einen seiner unter Pseudonym erschienen Krimis in die Ecke warf.

„Singularitäten“ ist in langsamem Fluss erzählt, so kann man sich an der Sprache, den schönen Formulierungen laben. Die Lektüre hat etwas sehr Sinnliches, Sinnenfreudiges. Wie ein festliches Mahl, und damit endet das Buch ja auch. Wurde der Biograph am Ende nur bestellt, um es zu vermasseln mit dem Auftrag und vor aller Augen zu scheitern?

Beate Lemcke

John Banville „Singularitäten“, übersetzt von Christa Schuenke, Kiepenheuer&Witsch, gebundene Ausgabe, 432 Seiten, 26 Euro

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