Gefeiert und vergessen
Ein Reiseführer aus dem Jonglez-Verlag zeigt uns das verborgene Dublin
Vielen war dieses Flittchen, das sich über Jahre mitten in Dublin in einem Whirlpool räkelte, ein Dorn im Auge. Anfang des Jahrtausends wurde ihrem Treiben der Garaus gemacht und an ihrer statt ein Stiletto im Ghetto platziert. – Zugegeben, das klingt dramatischer als es ist – auch hierzulande bleibt Kunst im öffentlichen Raum selten ohne Widerspruch und wird schnell mit mehr oder weniger schmeichelhaften Spitznamen bedacht. Wie eben in Dublin: der Dublin Spire – Stiletto in the Ghetto – und Anna Livia – das Flittchen im Whirlpool. Was viele nicht wissen: die Dame wurde ein Jahrzehnt nach ihrer Demontage 2001 die Liffey hinunter geschippert und hat jetzt im Gelände der Collins Barracks in einem Zierteich ihre neue Heimat gefunden. Was die Enten dazu schnattern, ist nicht überliefert.
Für den kleinen, aber feinen Reiseführer „Verborgenes Dublin“ versammelte Pól Ó Conghaile Orte, die auch fortgeschrittenen Dublinfreunden neue Welten öffnen. Der Autor führt auf einen Friedhof, in Grabkammern und Gärten. Botanische Kuriositäten sind ebenso vertreten wie Zeugen einer Geschichte der Armut und des Hungers.
Manche Orte kennt man zwar, aber der Autor liefert einem das Hintergrundwissen wie zu Harry Clarkes meisterlichen Buntglasfenstern. Auch lernen wir das gregorianische Dublin näher kennen und die Ambivalenz wie einerseits die stattlichen Backsteinbauten mit ihren geradezu festlich dekorierten Pforten in der ganzen Welt gefeiert werden. Und gleichzeitig dem nagenden Zahn der Zeit, sprich Verfall, preisgegeben sind wie die Henrietta Street, die mal die angesagteste Adresse Dublins war. Nur dem bürgerschaftlichen Engagement ist es zu verdanken, dass für dieses Kleinod noch Aussicht auf Rettung besteht. Den Erfolg werden dann sicherlich die Stadtoberen für sich reklamieren.
Städte sind voll von Skurrilitäten, kaum wahrgenommenen Kunstwerken, von Zeugen der Vergangenheit. Bücher wie dieses lenken unseren Blick darauf und lehren das Sehen, das Hinterfragen und den neugierigen Blick. Damit ist zugleich Bildungs- und konservatorische Arbeit geleistet.
Beate Lemcke (März 2024)
Pól Ó Conghaile, Verborgenes Dublin, Jonglez Verlag, Broschur 105 x 190 mm, 320 Seiten mit Karten und farbigen Abbildungen, 18,95 Euro