Wenn es keine Neuigkeiten gibt

Patrick McGinleys „Bogmail“ als Taschenbuch bei Steidl

Den feinen Unterschied zwischen einem Kriminalroman und einem „Roman mit Mörder“ wird die Lektüre von Patrick McGinleys „Bogmail“ am Ende freigelegt haben. Nicht nur, dass gleich auf den ersten Seiten das Grausige geschieht und wir dem Mörder dabei über die Schulter schauen. Auch das Opfer ist benannt. Die Lesefreudigen sind dem Dorfpolizisten weit voraus und eher gefordert, das Psychosoziale und die Gruppendynamik gleich einer ganzen Dorfgemeinschaft zu ergründen. Zumindest des Teils, der sich regelmäßig im Pub zusammenfindet.

Eine Täter-Opfer-Umkehrung?

Roarty ist der unheldische Held des Buches. Er führt ein Pub, und nicht nur der Tresen trennt ihn von den Farmern und Fischern, denen er einschenkt. Denn – so formuliert der Autor es mit würzigen Wendungen, die man sich gerne auf der Zunge zergehen lässt – „Er war… ein Mann, der noch nie Sonne oder Wind abbekommen hatte, es sei denn aus freien Stücken.“

Roarty hat seinen Barmann Eales verschwinden lassen. Die Erpresserbriefe, die fortan bei ihm eingehen, machen ihm mehr zu schaffen als die Last dieser Tat. Nach den strengen moralischen (bis zuweilen moralinsauren) Maßstäben des Jahres 2022 könnte man darin fast eine Täter-Opfer-Umkehrung sehen. Fürwahr scheint der Täter nassforsch, was Gewalt angeht. Dass die Frage der Moral trotzdem nur im Flüsterton gestellt wird, mag daran liegen, dass die Tat nicht ausgeschmückt wird, sondern eher als Behauptung dasteht. Das vorliegende Buch verhandelt mehr das Leben als diesen Fall des Ablebens.

Ode an den Whisk(e)y

Der Fall (aus Sicht der Unbeteiligten lange ungelöst) dient als Vehikel, in das Landleben und die Köpfe seiner Bewohner zu schauen. Der Täter – wie schon erwähnt – ist seltsam kaltblütig. Was sich in den Weg stellt, muss weg. Was seinen Lebensweg so beschwert hat und woher der Leidensdruck kommt, erschliesst sich beim Lesen, wir werden zu Mitwissern, unter Umständen sogar Sympathisanten.

Man könnte das Buch freilich auch als Ode an den Whisk(e)y verstehen. Wie der Zugang zu ihm Standesunterschiede offenbart oder wie er ein breites Spektrum von der belebenden Wirkung bis hin zur Zerstörung bedient: Der erste und zweite Eingeschenkte noch ohne Wirkung, der dritte zum Auftauen, dann die Wärme, das Licht, großes Vergnügen und schließlich ein rasanter Niedergang. Das ist hinreißend beschrieben.

Der „Abnutzungskrieg“ der Ehe

Roarty verbrachte sechs Jahre am Priesterseminar ehe er sich zum Kneipenleben hingezogen fühlte und mit Florence Kissane ein Pub in Glenkeel im County Donegal kaufte. Gleichzeitig nahm der „Abnutzungskrieg“ der Ehe seinen Lauf. Seine Höhepunkte hat das Buch des 1937 in Glencolumbkille geborenen Autors Patrick McGinley in Beschreibungen wie diesem Niedergang einer Beziehung. Oder irischer Eigenheiten wie der legendären (oder doch eher vermeintlichen?) Redekunst. Den Engländer Potter hat es auf der Suche nach Baryt-Vorkommen in die Gegend verschlagen. Bei aller Sympathie für die Einheimischen widerstrebt es ihm, ihr Ausschmücken des Nebulösen mit Kommunikation zu verwechseln. „Irische Gespräche waren wie jene keltischen Ziermuster im Book of Kells, die aus einem schlichten Motiv bestanden, etwa einer Schlange, die sich zu tausend dekorativen Knoten verwirrt, bevor sie schließlich ihren eigenen Schwanz verschlingt.“

Eine Welt, die in Ordnung ist

In keltischen Knoten scheinen sich auch die Ermittlungen des Dorfpolizisten McGing verfangen zu haben. Dabei hofft er so auf einen Höhepunkt in seiner Karriere. Das Dorfleben ist nämlich derart langweilig, dass der Journalist vor Ort sich einen Stapel verstaubter Zeitungen aufbewahrt, aus denen er abschreibt, wenn es keine Neuigkeiten gibt. Er ist der gar nicht so abwegigen Meinung, dass das immer sich Wiederholende seinen Lesern die Gewissheit gibt, dass die Welt noch in Ordnung ist.

Am Ende reibt auch der Leser des Buchs sich die Augen und fragt sich, ob da wirklich gemordet werden musste in diesem Lehrstück über das Leben, die Liebe und den Tod.

Erstmals erschienen ist das Buch 1978 in England.

Bogmail. Roman mit Mörder, übersetzt von Hans-Christian Oeser, Steidl Pocket, 344 Seiten, 18,80 Euro

Beate Lemcke im April 2022

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