Sieben Tage, drei Jahreszeiten, one love

Irland. Ein Ausflug im Januar 2016
Ein strohblonder, schlohweiß gepuderter Steward im Boy-George-Look fragt, wem das „beautiful jacket“ gehört, das in der Gepäckablage den Platz für einen Rollkoffer blockiert. Es ist mein Daunenmantel. Der Steward, der zu meinem Entzücken wie ein Charakter aus „Little Britain“ spricht, klimpert mit den Mascara-gepflegten Wimpern, zupft am Mantel, wuchtet einen Trolley ins Gepäckfach und stopft mein Federvieh in die verbliebene Ritze. Ich raune resigniert: this was a beautiful jacket. Wir lächeln verkrampft.
Als unterwegs jemand die Gepäckklappe aufmacht, quillt das Daunenteil heraus wie Bauschaum. Ich frohlocke ob des unerwarteten Lebenszeichens.

Dieser Daunenmantel, so stellt sich bei der Ankunft in Dublin heraus, ist hier so nutzlos wie Schuppenflechte. Die irischen Partychicks stehen mit bloßen Beinen in Sandaletten auf den abendlichen Straßen…
Schließlich heißt es, der Sommer in Irland dauere nur einen Tag, und vielleicht ist es ja genau jener Ende Januar. Der wunderbare irische Schauspieler und Comedian Ardal O’Hanlon beschied, Irland sei eines der wenigen Länder, wo man so lange in die Sonne gucken darf, wie man will, ohne Schaden zu nehmen.

Diesen befürchteten einige irische Bürger am Horntier, und so sollte es unlängst dem traditionellen Zeremoniell um King Puck an den Kragen gehen. Hierbei wird im August jeden Jahres ein wilder Ziegenbock eingefangen und im kleinen Ort Killorglin zum König von Irland gekrönt. Das Tier thront für die Dauer von drei Tagen in einem Korb, der an einer Art Fahnenmast hinaufgezogen wird, über dem Festplatz. Der Doktor des lieben Viehs beschied glücklicherweise, dass King Puck letztens während der Feierei einen satten Stone an Gewicht zulegte und alle Körperwerte von Blutdruck über Puls optimal sind. Zudem wurde das Tier einer Entflohung und exquisiter Hufpflege unterzogen. So darf die Tradition denn weiterleben.

Wenn man durch Dublin läuft, fällt die Internationalität der Passanten auf. Überall auf der Welt gibt es jetzt viele Ausländer, denke ich und merke, wie wenig Sinn dieser Satz macht.
Doch in der Tat macht auch die Globalisierung nicht immer Sinn. Wenn man als Ire Probleme mit dem Fernsehempfang hat, führt einen die Hotline direktemang nach Manila, wo einen keiner versteht.
Eine Krankenschwester erzählt mir, dass ihre philippinischen Kolleginnen im Hospital beim Rapport inständig „he“ und „she“ verwechseln, was für das Patientenprofil im Krankenbericht mitunter nicht ohne ist.

Zu den Dingen, die immer gut laufen in Irland gehört Guinness. So wird in die Dubliner Braustätte weit mehr gepilgert als zum Beispiel in den Wallfahrtsort Knock. Mehr noch, selbst die Iren nahmen überrascht Kenntnis davon, dass der Guinness Hop Store, der Geschichte und Herstellung des schwarzen Gebräus modern und anschaulich demonstriert, im vergangenen Jahr zur attraktivsten Sehenswürdigkeit in Europa gewählt wurde. Nicht etwa der Louvre…

Auch in der Gunst der Politik steht die Kunst oft nicht besonders weit oben. Dublins Nationalgalerie erlebte ich nahezu verwaist. Nur wenige Räume waren zugänglich, der einst so gepriesene Millenniumsflügel beherbergte nur noch die Garderobe. Was lernen wir daraus?
Der Schirm, der Irland nach dem großen Börsencrash und Platzen der Immobilienblase schützen sollte, ist zwar zu. Das heißt aber lange nicht, dass alles in trockenen Tüchern wäre. Im Gegenteil, viele Folgen der Rezession werden erst jetzt richtig sichtbar.

Diese Situation birgt resignatives wie widerständisches Potential. Bei den Wahlen im Februar ging es ordentlich abwärts mit der Regierungskoalition aus Enda Kennys Fine Gael und Labour. Bis Mitte März stand noch keine neue Regierung. Ausgerechnet im Jahr 100 nach dem Osteraufstand, in dem das komplette öffentliche Leben, Politik und Kultur unter diesem stolzen Stern stehen. Auf meine Nachfrage, ob es nicht stört, wenn die neuen Straßenbahn-Trassen bis zum Jubiläum nicht fertig werden, meinte übrigens ein Architekt aus Dublin: „Ach, wieso denn, da wird was drübergelegt und dann ist gut.“ Vor allem die Rolle der Frauen 1916 wird wohl erstmals in den Fokus gerückt werden. Während jenes Osteraufstandes bezogen britische Truppen u.a. auf dem Dach des berühmten Shelbourne Hotels Stellung und schossen auf Menschen im St. Stephen’s Green, einer wunderschönen Parkanlage mit Wiesen und Wasser.

Wie im Little Museum of Dublin, das an einer Flanke des St. Stephen’s Green liegt, zu erfahren war, wurde ein eintägiger Waffenstillstand ausgehandelt. Mit einem sehr ungewöhnlichen Beweggrund: damit die Enten im Park gefüttert werden konnten. Das sollte man auch an anderen Brandherden einführen.

Besuchenswert wie dieses Museum, ein Kleinod im Herzen der Hauptstadt, das sich in den wenigen Jahren seines Bestehens ein gutes Renommee erarbeitet hat, – besuchenswert also ist auch die Teeling Destillerie, derzeit die einzige in der Stadt, in der es früher einmal 37 Whiskey-Brennereien gab.

Obwohl erst im vergangenen Sommer eröffnet, konnte Teeling sich 2015 schon über 25.000 Besucher freuen, und die angepeilten 75.000 für dieses Jahr sind alles andere als maßlos. Es erwartet den Gast eine überaus offene und freundliche Atmosphäre in Räumlichkeiten, in denen viel Holz verbaut wurde. Mitunter wähnte ich mich im Inneren eines Whiskeyfasses, und dann ist da noch dieser unvergleichliche Duft, der sich so eindringlich einschreibt, süßlich, säuerlich, würzig und warm. – Da wollte man G. B. Shaws „whiskey is liquid sunshine“ gerne noch etwas hinterherdichten. Wenn man könnte…

Ähnlich stark beeindruckt hat mich nur die Vorstellung, dass der Firmenchef die drei Kupferkessel, in denen destilliert wird, nach seinen drei Töchtern benannt hat. Aus Kupfer sind die Pots übrigens, weil das die Sulfate des Alkohol aushält. Die Whiskeyfässer, in denen der Tropfen später reift und zu seiner Klasse findet, werden außerhalb Dublins gelagert wegen der Abgase und des Feinstaubs – wenngleich eine aktuelle Werbekampagne der Stadt die gute Luft preist. Darauf will man sich denn doch nicht verlassen, so lagern die 20.000 Bourbonfässer aus amerikanischer Weißeiche, aber auch ehemalige Sherry-, Port-, Madeira-, Weißburgunder- und Cabernet-Sauvignon-Fässer mindestens fünfeinhalb bis sechs Jahre außerhalb der Stadt an der Irischen See. Der Whiskey, der während dieser Zeit ins Holz des Fasses eindringt und sich verflüchtigt, trägt übrigens den schönen Namen „Angel’s share“.

Circa 20000 Fässer werden außerhalb Dublins an der Irischen See gelagert, auf dass der gute Tropfen unbeeindruckt von Feinstaub und Großstadtdreck mindestens fünf Jahre reifen möge. Auch soll das verhindern, dass sich ein Unglück wiederholen kann wie jenes, da ein irisches Whiskeylager in der Stadt in Brand geriet. Die Feuerwehr rückte aus, um zu löschen. Als keine Flammen mehr züngelten und das Wasser abgestellt war, rann aus nicht wenigen Fässern Whiskey, und das zog Freunde des allgemeinen Gelages an. Die traurige Bilanz: 3 Tote.

Neben dem „small batch“ Teeling gibt es mittlerweile noch einen etwas dunkleren Single Grain und einen Single Malt – oder wie mein „personal Guide“ knapp zusammenfasst: Frühstück, Mittag und Abendbrot.

Wem nicht zu jeder Tageszeit der Sinn nach einem Whiskey-Tasting steht, der kann sich im angeschlossenen Café etwas Gutes tun, die Kuchen und Pasteten stammen allesamt aus der Fabrikation kleiner regionaler Unternehmen.

Da Irland ein sehr fortschrittliches Land ist, in dem es selbst im Stadtbus Wi-Fi gibt (aufgemerkt, Technologieführer Deutschland!) steht im von Berlin aus gebuchten Zug nach Belfast schon mein Name am Sitzplatz. Wi-Fi gibt es auch hier, wenn man es denn nutzen will, Kaffee wird am Platz serviert, und so ist für guten Reisecomfort gesorgt (aufgemerkt, Dienstleistungsgesellschaft Deutschland!). Die Landschaft, die draußen vorbeizieht, ist wunderschön, aber dafür kann die Bahn nun wirklich nichts. Deshalb gibt es auch in Deutschland wunderschöne Strecken.

In den Mourne-Mountains, in denen ich in den Folgetagen noch wandern werde, liegt übrigens Schnee. Fürs Wandern allerdings eignet sich mein anfangs so malträtiertes Federvieh wieder nicht.

Aber für die Rückkehr nach Berlin.

Hatten mich bei meiner letzten Ankunft am Internationalen Flughafen Schönefeld die Gebetsteppiche überrascht, allesamt belegt mit Taxifahrern, die Haupt und Gedanken gen Mekka richteten, so war es diesmal ein Trupp Wachturmverkäufer. Der Mann unter ihnen trug eine Schaffnermütze, und als Stadtfremde hätte mich das glatt dazu verleitet, ihn um Auskunft zu ersuchen. Denn das mit dem Wegeleitsystem und schnellem, unkompliziertem Ticketverkauf – das bekommen sie an diesem Flughafen einfach nicht hin!

Text und Fotos Beate Lemcke

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