Wenn die Welt in tausend unglückliche Stücke zerfällt

Sebastian Barry „Ein langer, langer Weg“, jetzt als Taschenbuch bei Steidl

Als Willie Dunne aus dem irischen Dalkey von Dublin aus in den Krieg zog gegen die Deutschen, nach Flandern, schrieb man das Jahr 1915 und Willie war kaum vier Jahre älter als das Jahrhundert. Was ein Krieg bedeuten würde, ahnte er so wenig wie Gleichaltrige heute. Denn – wir erleben es gerade – mit dem Versterben der Großeltern und Urgroßeltern verstummt die Zeugenschaft.
Im nun zweiten Jahr der Pandemie vermissen viele von uns Filme in Kinos und auf Festivals mit ihren starken Bildern, die in Geschichten hineinzuziehen vermögen, so dass man alles drumherum vergisst. Man sieht, hört, riecht, fühlt… – Sebastian Barry kann das. Allein mit Worten. Wenn er beschreibt, entstehen eindringliche Bilder. Atemlos folgt man dem Romanautor als er eine große gelbe Wolke aus Rauch erschafft. Ein Rätsel, das, zunächst nur eine leichte farbige Irritation, sich auf die Truppe zubewegt. Ganz still gleitet diese Wolke durch die Landschaft, auch da nicht allzu bedrohlich wirkend. Bis in diese geradezu brutale Lautlosigkeit überraschend furchterregende Schreie der Soldaten echoen. Nun ist es schon zu spät. Rauch und Gestank und Tod sind unausweichlich. Das ist Krieg, der – wo er nicht tötet – die Herzen versengt und den Geist ermattet.

Man endet hier hart wie eine Nuss

Nach einem vollen Jahr auf dem Schlachtfeld schreibt Willie in einem Brief an Gretta in Dublin, die er gerne zur Frau nähme, wenn er zurückkehrte aus dem Krieg: „Ich habe das Gefühl, den Krieg von außen und von innen gesehen zu haben, und man endet hier hart wie eine Nuss, was ein Vorteil ist“. Verborgen in einer Schale, die schützen mag, solange man sich denn zumindest auf der richtigen Seite wähnt in diesem Krieg. Oder man ist ein Jesse Kirwan, dem diese Gewissheit abhanden kam und der darum aufgehört hat zu essen, damit er schrumpft und den Stoff seiner Uniform nicht mehr berührt.
Aber egal auf welcher Seite die Soldaten stehen, alle gleichermaßen trifft die Entmenschlichung im Krieg, der immer eine Tragödie ist. Der die Welt in „tausend unglückliche Stücke zerfallen“ lässt. Die Männer werden regelrecht verbrannt bis von ihnen oder statt ihrer nur noch „Vogelscheuchen oder zerfetzte Seelen übrig“ sind. Im kurzen Fronturlaub, wiewohl gerade mal zwanzig, ist Willie bereits ein alter gebrochener Mann.
Für Kriegstreiber mögen Taktik und Strategie von Belang sein, das Wesen des Krieges, der Männer aus aller Welt 1914 in den Krieg gegen den Kaiser nach Flandern zog, ist aber, was er mit den Menschen macht. Und gemacht hat. Noch dann, wenn es vorbei ist und der Glaube an die Sache geschwunden und die Loyalität versiegt.

Beate Lemcke

Sebastian Barry, Ein langer, langer Weg, übersetzt durch Hans-Christian Oeser, 368 Seiten, Paperback, 16,80 Euro

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