Häuser wie von Kaninchen entworfen

Wer Irland bereist, kommt oft ins Staunen – Jörg Rafalski erzählt davon

Nicht jedes Irlandbuch bedarf eines grünen Schutzumschlags. Diese These mag banal klingen, ist aber für den hier zu besprechenden Band nicht ohne Belang. Denn die Klischeevermeidung im Optischen geleitet subtil in Hans Jörg Rafalskis originelles Erzählen über „Irland. Das wunderbare Land der 41000 Himmel und O’Sullivans“, das in Wesen und Gestalt aus der Fülle an Büchern, an Reisegeschichten, Bild- und Erzählbänden über Irland heraussticht.
Wenn man den großformatigen Band in die Hand – oder eher beide, denn er ist gewichtig – nimmt, ihn leicht ankippt und den Schutzumschlag betrachtet, dann ersteht aus glänzenden und matten Arealen ein Bild aus mäandernden Streifen und Schwüngen, das an keltische Designs erinnert. Zudem formt das „D“ in Irland eine Harfe, und schon ist das erwartete Vertraute wieder da. Eigentlich wird nämlich gar kein Klischee vermieden, auch in den Texten nicht, eher werden die Klischees in Bezug gesetzt, verwoben und auf eine höhere Ebene gehievt. Wie der Ire sagt: „Don’t let the truth get in the way of a good story“, denn manchmal ist das Gedichtete näher an der Wahrheit als der sachlich faktenorientierte Bericht. Weiß jeder Irlandfreund doch, dass den Stereotypen über The Emerald Isle und ihre Bewohner eines eignet: wahr zu sein.
Dass die Rezensentin dieses Buch für außergewöhnlich hält, mitunter Zeile um Zeile aufgesaugt und nicht wenige Sätze zweimal gelesen hat, liegt vielleicht auch daran, dass zeitlich, räumlich und im Empfinden einige Parallelen in der Reisebiografie Irland grüßten. Sowohl bezüglich des „ersten Mal“ als auch spezieller Orte, an denen sie nicht umhin kam, das Notizbuch zu zücken oder eben nicht, weil die Erinnerung an derart Einschneidendes, Skurriles, … ohnehin nie verblasst.
Eigentlich ist es doch so: Wenn man alles weiß, weiß man nichts. Denn die Oberfläche will durchstoßen sein, die darunter liegenden Strömungen erfasst, Untiefen beleuchtet. Als häufig Irlandreisender glaubt man, die ewig gleichen Bilder in Variationen zu kennen: noch ein Reiseerzählbuch, noch ein Fotoband… das Regal ist voll. Hier aber ist ein Buch in einer Auflage von 666 Exemplaren erschienen, das ein Kunstwerk für sich ist. Die Optik des Bandes meidet klassische Landschaftsfotografie eher und setzt stattdessen auf Ausschnitte, freigestellte Motive oder ungewohnte Perspektiven. Text, Typographie und Bild sind originell im besten Sinne des Wortes, das eine dient dazu, das andere zu untermalen und zu stärken. So beschreibt Rafalski selber das Buch als „kreative(n) Akt…ein Dekonstruieren und Neuzusammensetzen aus Bruchstücken… unter dem Eindruck des fortlaufenden Wandels des eigenen Selbst.“
Erzählt wird nicht linear, sondern frei sich zwischen Himmel und Hölle, Vergangenheit und Zukunft bewegend. Die Rezensentin hat während der Lektüre oft innegehalten, nachgedacht, geschmunzelt. Und mindestens einmal laut aufgelacht als sie sich in Limerick wiederfand, in einem anderen Jahr als Rafalski und einer anderen Bleibe als dieser, aber es war genau so: „Viel zu steil geratenes Stufenmaß, schwer gangbar, aber bedeutungsschwer belegt mit brokatnachahmendem Bodenbelag. Die Gänge dahinter: von Holzpaneelen in Form gebrachtes Stollengeschling… In Abständen Fluchtpläne – aus gutem Grund, denn dieser Bau könnte von Kaninchen entworfen sein.“ Yes! So true!
Die Texte im Buch erzählen, sind aber auch essayistisch. Oft entwickeln sie eine poetische Kraft. In den verhandelten Themen liegen Schmerz und Fröhliches mitunter so eng beieinander, dass es sich verkehrt. Die bilderreiche, zuweilen auch blumige Sprache wirkt nie bemüht, und wenn sie Klischees aufgreift dann steht sie auch dazu. Schließlich verhandelt sie Irland, das wunderbare Land der 41000 Himmel und O’Sullivans…

Beate Lemcke

Irland. Das wunderbare Land der 41000 Himmel und O’Sullivans 

Autor, Fotografien, Artwork und Grafik: Hans Jörg Rafalski 

Verlag: Papierwerken 

Format: 317 x 230 mm 

Umfang: 272 Seiten

Inhalt: jeweils hälftig Text und Bildtafeln 

Druck: FM-Raster (Kunstdruckraster) 

Bindung: Hardcover mit Schutzumschlag 

Auflage: 666 Exemplare

ISBN 978-3-00-058963-8

Verkaufspreis: 45 Euro

Ein Gedanke zu „Häuser wie von Kaninchen entworfen

  • 15. Oktober 2019 um 15:25 Uhr
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    Hallo Frau Lemcke…wie immer nötigt mir ihre schreibe höchsten respekt ab..beste grüsse aus pankow

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