Die Klarheit der Unschärfe

Colin Barretts „Heimweh Stories“, erschienen bei Steidl

Auch wer nie dort war erahnt, was Sgt. Crean im Gespräch mit seiner weiblichen Kollegin Noonan meint. Der diensthabende Beamte auf der Polizeiwache im irischen Ballina sinniert über Mayo: „Aus der Ferne finde ich die Grafschaft sehr ansehnlich. Nur von nahem lässt sie einen im Stich.“ Das ist beiläufig gesagt wie im Selbstgespräch und wird von Noonan nur mit einem Lächeln beantwortet. Gerade dadurch aber steht es wie gemeißelt. Colin Barrett, geboren 1982 in Kanada und aufgewachsen in Mayo im Westen Irlands, mittlerweile aber wieder in Kanada zu Hause, kann mit wenigen Worten ganz viel sagen, er formuliert überraschende Vergleiche und findet sich in der deutschen Ausgabe treffend übersetzt von Hans-Christian Oeser.

Es passieren in Mayo übrigens durchaus aufwühlende Dinge. In der Erzählung um Noonan und Crean immerhin eine wüste Schießerei, letztlich ertränkt im Papierkram, der auf so einer Polizeiwache anfällt.

Kommunikation ist nicht unmöglich, aber lästig

Colin Barretts Erzählungen sind im Heute angesiedelt, auch der Lockdown kommt schon vor. In diesem Fall in Edmonton, Alberta, Kanada. Da gibt es einen Schriftsteller namens Caber, in dessen Buch Menschen einander damit anstecken, ein leises, schwarz schimmerndes Dröhnen zu hören. So dass am Ende alle Kommunikation zwar nicht unmöglich wird, aber lästig ist. Viele Menschen legen daraufhin ein Schweigegelübde ab. Die Behörden raten von Versammlungen mit öffentlichen Reden ab, aus eigenem Antrieb gehen die Menschen nicht mehr aus dem Haus. – Eine vorausschauende Fabel. Aber eigentlich geht es um die Hunde Buddy und Linus und den Hundesitter, den Caber für sie engagiert hat.

Den Autor Colin Barrett möchte man bewundern dafür, wie er auf den wenigen Seiten seiner Erzählungen Figuren zeichnen und zum Leben erwecken, mit Charakter, Verstand und Gefühl ausstatten kann. Man nimmt deren Geschichte noch mit in den nächsten Tag.

Gefühlsmix aus Bewunderung und Angst

Dabei sind es oft ganz banale Sachen, alltägliche Geschehen. Aufgefüllt mit dem Dazwischen, dem Angerissenen, Unausgesprochenen.

Das Talent des Autors liegt im Erschaffen von atmosphärischer Dichte, von Stimmungen. So entsteht alsgleich ein Bild vorm inneren Auge, wenn da plötzlich ein junger Mann mit riesigem Schwert im Golfklub aufkreuzt und allein durch sein Erscheinen einen Gefühlsmix aus Verwunderung, Angespanntheit und Angst auslöst.

Mein Favorit unter den acht Erzählungen des Bandes ist „Level“. Die 16jährige Pell, die als Älteste allein mit ihren Geschwistern lebt, ist komplett genervt wegen eines Anrufs. Am Apparat die Schulsekretärin, die sie wegen ihres kleinen Bruders Gerry und seiner Verwicklung in eine Schlägerei in die Schule zitiert. Pell nimmt den Bus dorthin, „an Bord befanden sich drei ältere Frauen. Sie rochen wie das Innere von Wasserkesseln“, gerät zwischen aggressive Jugendliche, muß sich dann die Klagen der Erzieher anhören.

Nach all der Erschöpfung hellwach

Wieder zu Hause stellt Pell den Kleinen zur Rede, weil es so ja nicht weitergehen könne. Und dann schieben sich die Bilder übereinander, Gerrys Spiel mit der Playstation, das Schulgeschehen, die Erziehungsmühen der Schwester. Schreie und Schüsse auf dem Bildschirm verschmelzen mit der Realität im Haus, das Gestöber aus gelben und violetten Punkten auf dem Bildschirm, die den Jungen nach all der Erschöpfung hellwach werden lassen. Alles verschwimmt miteinander und wird in der Unschärfe umso klarer. Eine großartige Milieustudie.

Beate Lemcke

Colin Barrett „Heimweh Stories“, Steidl, Leineneinband, 240 Seiten, 24 Euro

 

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.