Vom geistigen Zuschnitt einer Kleinstadt

Séamus Ó Grianna „Selbst ist der beste Plan“, erschienen bei mare

Am offenen Kamin sitzen, das Torffeuer beißt ein bisschen in den Augenwinkeln während sein Geruch sich pelzig auf die Zunge legt und morgen noch schwer in den Haaren hängen wird. Gut, dass der Teekessel schon bereit steht, wie immer. Denn es wird ein langer Abend mit dem Geschichtenerzähler. – So ungefähr ist die Stimmung zwischen den Buchdeckeln des Erzählbandes von Séamus Ó Grianna zu beschreiben, der hierzulande erst noch entdeckt werden will. Wenn man die wunderbare Tradition des Storytelling verschriftlichen wollte, dann so. Zu lesen, und es ist, als läse jemand vor.

Der irischen Sprache verbunden

Ó Grianna stammt aus dem County Donegal im Nordwesten Irlands, wo er 1889 in eine von der rauhen Natur bestimmte, einfache Welt hineingeboren wurde. In eine Familie von Dichtern und Geschichtenerzählern. Séamus Ó Grianna schrieb sowohl auf Irisch als auch auf Englisch, und er war der irischen Sprache und ihrem Erhalt verbunden, was mit seinem Einsatz für die irische Unabhängigkeit einherging.

Im vorliegenden Erzählband sind kleine feine Geschichten versammelt, die zugleich Lehrstücke über menschliches Denken und Verhalten sind. Direkt oder zwischen den Zeilen. Oft pointiert am Ende der Geschichte, deren Ausgang man schon zu kennen glaubte, untergebracht: huch, was für eine Wende!

Zwischen Glauben und Aberglaube

Der Leser begegnet dem Träumer und dem Raucher oder einem Geschichtenerzähler, der die See flieht, weil sie ihm Angst einjagt. Er lernt irische Auswanderer und Rückkehrer kennen, die entdecken müssen: „Im größeren Teil der Rosses war die Schönheit der irischen Sprache verschwunden, und die Menschen machten grauenhafte Versuche, sich auf Englisch auszudrücken. Sie irrten zwischen zwei Kulturen umher, da sie … die alte aufgegeben und noch keine Zeit gehabt hatten, sich die neue anzueignen.“

Die Rosses – das ist eben jene Gegend in Donegal, die der Autor in- und auswendig kannte. Wo sich viel Handeln am Glauben und Aberglauben entlang hangelte. Wo Liebe zuweilen klein- und die Partnerwahl zum Zwecke der Besitzvermehrung großgeschrieben wurde.

Auch ein harsche Gesellschaftskritik

Für all das findet der Erzähler treffliche Bilder, z.B. für wenn er über eine Bewohnerin der Rosses schreibt „sie hatte den geistigen Zuschnitt und die Weltsicht einer Kleinstadt, wo der Groschen auf den Pfennig herabschaut“… – Es bliebe dann nichts anderes übrig, als einen passenden Bräutigam aus der Groschen-Klasse zu suchen.

Im Grunde ist dieses Buch also auch eine harsche Gesellschaftskritik. An der besitzstandwahrenden und -mehrenden Verheiratung, die manchmal wider Erwarten arm, oft aber unglücklich endet.

Eine Bindung zwischen Leser und Autor entsteht durch die zuweilen direkte Ansprache und durch Einschübe, wie man es vom mündlichen Erzählen kennt, ein Abschweifen, um weitere Figuren einzuführen.

Wiewohl die gesellschaftliche Struktur im alten Irland rückständig erscheint – zuweilen weckt das Buch eine Sehnsucht nach der Zeit, in der noch alles übersichtlich war.

Beate Lemcke (im Dezember 2021)

Erzählungen, erschienen im mareverlag, aus dem Englischen von Gabriele Haefs und Julian Haefs, mit einem Nachwort von Ralf Sotscheck, 368 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag und Lesebändchen, 24 Euro

 

 

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