Ganz großes Kino

Liz Nugents Krimi „Auf der Lauer liegen“

Ein Begriff, der etwas in Mode gekommen auf menschliche Beziehungen angewandt wird, ist „toxisch“. Wir raten zu vorsichtigem Gebrauch, denn was toxisch wirklich bedeuten kann, führt Liz Nugents Krimi „Auf der Lauer liegen“ auf eine Weise vor, die einem das Blut in den Adern gefrieren lässt. Fast möchte man sagen: Ein Mord ist gar nichts dagegen.

Jedes Mittel ist recht

Eine toxische Beziehung manipuliert und verdreht die Wahrheit. Sie kann von Rücksichtslosigkeit geprägt sein, von Beleidigung und Herabwürdigung. Gekonnt zieht sie an Strippen der Macht und quält ihr Opfer mit Liebesentzug und Lügen. Ihr perfides Spiel ist darauf gerichtet, Schuldgefühle auszulösen und ihr Opfer sozial zu isolieren. Kurzum: Jedes Mittel ist recht, um sich selber ins gewünschte Licht zu setzen. Beim Lesen von Liz Nugents Thriller keimen böse Vorahnungen auf, die immer haushoch übertroffen werden.

Charakter- und Milieustudien

Die Zutaten eines realen wie literarischen Kriminalfalls sind gemeinhin diese drei:

Das Auffinden und Identifizieren des Opfers, die Ergründung von Tathergang, -ort und -zeitpunkt, die Ermittlung und Nennung des Täters.

Dass das alles auf den ersten Seiten schon geklärt ist, macht umso mehr Lust auf die Lektüre, denn wenn es sich nicht um Schund handelt, muß fortan ganz großes Kino kommen, ein Aufrollen des Falls mit Haupt- und Nebensträngen, mit Charakter und Milieustudien und viel Psychologie.

In Sorge zurückgelassen

Liz Nugent kann das. Ihr Erzählen saugt einen ein in die Welt der Fitzsimons und der Doyles. Eine 22jährige Frau aus Dublin ist verschwunden. Karen, die Schwester macht sich auf die Suche. Nicht, weil sie ein Verbrechen vermutet, sondern weil sie sauer ist auf diese treulose Tomate von Schwester, die die Familie in Sorge zurückgelassen hat.

Unruhig wird es auch im Hause des angesehenen Richters Andrew Fitzsimon, der mit seiner angebeteten Gattin Lydia und dem gemeinsamen Sohn Laurence ein schönes Haus in einer besseren Gegend Dublins bewohnt. Lydia will, dass das so bleibt mit dem Ansehen und dem Lebensstandard und dem Sohn, der ihr Ein und Alles ist. Am liebsten würde sie alles in Watte packen. Aber wenn sich Widerstände auftun, dann…!

Die Sache nimmt Fahrt auf

Beim Lesen wechselt die Perspektive von des Richters Gattin Lydia zum Sohn Laurence und zu Karen, der Schwester der Verschwundenen, von der der Leser längst weiß, dass sie tot ist.

Die Sache nimmt schnell Fahrt auf, aber von der Richtung wird der Leser immer wieder aufs Neue überrascht. Dass es ein böses Ende nimmt, ist weit untertrieben.

 

Beate Lemcke (August 2022)

Erschienen im Steidl Verlag, aus dem Englischen von Kathrin Razum, 368 Seiten, 28 Euro

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