Death is not the end
Der irische Roman „Grabgeflüster“ von Máirtín Ó Cadhain handelt komplett unter der Erde, im Kröner Verlag erschien er erstmals in deutscher Übersetzung
Death is not the end behauptet ein Song von Bob Dylan. Aber dass es so schlimm werden würde…?! Máirtín Ó Cadhains Romantitel „Grabgeflüster“ ist eine Beschönigung, denn was sich da von unter der Erde nach oben drängt in des Lesers Sinne, das ist ein unablässiges Gezeter, ein waschweibmäßiges Gekeife und trunkenboldhaftes Geschrei, das seinesgleichen sucht.
Den Autor Máirtín Ó Cadhain mag hierzulande kaum jemand kennen, aber als das Buch 1949 erschien, war es im gälischsprachigen Irland so etwas wie ein Kultroman. Gar von einem James Joyce irischer Zunge war die Rede, was erklären könnte, dass es mehr als ein halbes Jahrhundert gebraucht hat bis sich ein Übersetzer daran wagte, das Werk ins Englische zu übertragen. So erschien es 2015 unter dem Titel „The Dirty Dust“.
Der Umgang der Iren mit Tod und Sterben ist geprägt von ihrer Kultur und insbesondere von literarischen Erfahrungen. Prägend sind fraglos der Katholizismus und das Märtyrertum, unbedingt auch das irische Unabhängigkeits-Streben und das Trauma der Großen Hungersnot „Famine“ im 19. Jahrhundert, die die Einwohnerzahl Irlands durch Tod und eine Auswanderungswelle sondergleichen dezimierte. Man darf nicht vergessen: Emigration kann zumindest so etwas wie den sozialen Tod bedeuten. Das Erzählen schafft den Raum, in dem Tod und Leben einander begegnen können.
In James Joyce‘ Roman Ulysses, wird der Tod zugleich als Stunde der Geburt wahrgenommen, das Totenbett ist auch ein Ort, an dem neues Leben beginnt. In der Literatur ohnehin. Wiewohl der Tod einen gewissen Schlusspunkt ans menschliche Leben setzt, markiert er den Beginn des Geschichtenerzählens. Und da ist alles erlaubt.
Bei Máirtín Ó Cadhain ist das ins Extrem getrieben, handelt doch sein kompletter Roman unter der Erde, im Erdreich eines Friedhofs, wo sich die Gebeine stapeln.
Manche Leiber auf dem Totenacker sind schon arg zerfallen, neue frisch begraben und die bringen Neuigkeiten, Klatsch und Tratsch mit herunter. Es handeln die Geschichten, die die Verblichenen diskutieren, an fiktiven Orten in Connemara, genannt wird die „Helle Stadt“, die Galway meint.
„Wenn jemand auf den Friedhof kommt, sollte er die kleinlichen Sorgen des Lebens zurücklassen und seine Zeit nutzen, seinen Geist zu entwickeln.“ Aber nein, Standesunterschiede und Dünkel auch bei der letzten Ruhe. Wer liegt wo, wer hat den aufwändigsten, den teuersten Sarg? Die Ketzerei kennt kein Ende und draußen tobt der Krieg Hitler vs. England.
Alles außer Grabesstille scheint man auf einem Friedhof finden zu können. Für den Kröner Verlag hat Gabriele Haefs dieses Werk erstmals ins Deutsche übersetzt. Die Beschimpfungen und Kraftausdrücke müssen eine Herausforderung gewesen sein, dieses Wechselspiel von gemeinsten Flüchen und befremdlicher Frömmigkeit. Ó Cadhain lässt den göttlichen Drang zu schreiben wie folgt formulieren: „Den verspürt jeder Irischsprechende irgendwann in seinem Leben… Angeblich liegt das an den Wetterverhältnissen hier an der Westküste… Jeder Irischsprechende hat die Verpflichtung, herauszufinden, ob er die Gabe des Schreibens besitzt.“
Vorwürfe aus Lebzeiten sind nicht vergessen im Grab, Schuldzuweisungen und Verletztheiten feiern fröhliche Urständ. Unterstellungen über Schulden und Diebstahl sind die vergifteten Pfeile, die den Toten eigentlich nichts mehr anhaben sollten. Doch es gilt: Ein Auge für ein Auge…, denn abgerechnet wird zwar zum Schluss, aber die offengebliebenen Rechnungen werden bis in alle Ewigkeit weiter verhandelt.
Wie im Leben vor dem Tode dreht sich auf dem Gottesacker vieles um Geld. Der Neid grassiert, Gerüchte werden befeuert und Intrigen aufgedeckt, Glaube und Aberglaube mit Faktischem vermengt.
Selbst unter der Erde wollen die einen nichts mit den anderen zu tun haben.
Der Leser erfährt etwas über die Krankheiten, die zum Tod führten. Magenverrenkungen, schwere Arbeit oder überraschendes Ableben aus der Blüte heraus. Derweil andere einfach nicht nachkommen wollen ins feuchte Erdreich. Schließlich, „wenn Gott jemanden am Leben halten will, warum sollte er deshalb jemand anderen sterben lassen?… Gott ist doch bestimmt nicht so unerbittlich wie das Postamt?…“
Alfred Kröner Verlag Stuttgart, 2017, 461 Seiten, Halbleinen, 24,90 Euro
Beate Lemcke