Revolution number 89

Gerry Gleasons „Chairlift (Berlin to Belfast)“ überwindet Mauern
Vor dreißig Jahren ist in Deutschland die Mauer gefallen, doch sie bleibt ein Thema. Die Mauer in den Köpfen, die oft zäher als Beton scheint, die Mauern in anderen Ländern, die noch immer stehen oder gerade erst wieder geplant werden.
Wir wollen hier von einem Bild des Malers Gerry Gleason aus Belfast erzählen. Auch dort lebt man mit einer Mauer, die beschönigend Friedenslinie genannt wird. Erst in den letzten Jahren wurde sie stellenweise bis auf zwölf Meter erhöht. Dabei gibt es das Karfreitagsabkommen von 1998, das die seit den 60er Jahren schwelenden Konflikte und Gewaltausbrüche mit tausenden Toten befriedet und in das Ringen um eine politische Lösung überführt hat. Eine keinesfalls heile Welt, die durch den dräuenden Brexit wieder aus den Fugen geraten könnte.
Beim ersten Besuch von Gerry Gleason in Deutschland, 1989 war das, in Westberlin, teilte eine Mauer aus kaltem Beton die Stadt. Gleason erinnert sich: „Ich kam gerade aus Belfast, aus dieser Situation des Eingesperrtseins und des paranoiden Drucks unter gewalttätigen Verhältnissen. Bei Westberlin hatte ich immer an Westdeutschland gedacht, und ich war entschrocken als ich entdeckte, dass das Flugzeug mich auf eine Insel gebracht hatte. So landete ich unversehens in einer ähnlichen Situation wie zu Hause.“
Der Maler verließ den „Goldenen Käfig“ zu einem Kurztrip nach Ostberlin. Beim Check an der Grenze, den Formalitäten und Kontrollen, die er über sich ergehen lassen musste, drängten sich unabweisbar und wie in einem Alptraum die Parallellen zwischen dem geteilten Berlin und Deutschland und den duch die Friedenslinie separierten protestantischen und katholischen Teilen Belfasts, dem politisch abgetrennten Norden Irlands auf.
Das Leben in einer Stadt, die vor allem in den 70er und 80er Jahren vom Terror durchrüttelt in einem permanenten Ausnahmezustand verharrte. Ohne greifbare Anlässe zur Hoffnung auf einen normalen, friedlichen Alltag. Bis zum Karfreitagsabkommen, mit dem der Terror seinen Rückhalt in der Bevölkerung verlor.
Der Dauerdruck macht die Menschen hart, aber er sensibilisiert auch. „Eine Mauer“, so der Künstler seinerzeit, „kann den Menschen wie im Gefängnis halten, nicht aber sein Denken, seine Vorstellungskraft“.
Im Museum am Checkpoint Charlie hatte Gleason das Foto eines Jungen gesehen, der mit seinen Eltern in einem Heißluftballon aus der DDR geflüchtet war. Diese Szene grub sich in das Gedächtnis des Malers ein. Zurück in Belfast durchlebte Gleason seine Reise noch einmal – künstlerisch. Er malte ein Bild, dessen zentrale Figur jener kleine Junge ist. „Als Kind träumte ich – wie viele vielleicht – vom Fliegen, davon, die Arme auszubreiten und in den Himmel aufzusteigen“, erzählte mir der Maler. „Daran erinnnerte ich mich, als ich sah, wie der Junge die Barriere überwindet..“ Diese Geschichte wurde für Gleason zu einem Symbol für den Flug über die Geschichte der Mauer, für die Kraft der Zuversicht, die Unbesiegbarkeit der Phantasie und der Utopien.
„Aber ich frage mich auch, welche Entscheidungsfreiheit das Kind in dieser Situation eigentlich hatte. Keine. Und was würde passieren, wenn die Mauern fielen? Die Erfahrung sitzt tief und läßt sich nicht so leicht bestechen. Da stellt sich heraus, dass es sehr schwer ist, die Mauer im Denken zu überwinden.“
Nach dem Mauerfall lernte ich Gerry Gleason, der vom Galeristen Jürgen Schneider in Berlin Prenzlauer Berg ausgestellt wurde, kennen. Und ein paar Jahre später gelang es, sein großformatiges Ölgemälde von der Flucht im Ballon an das Gothaer Museum Schloß Friedenstein, nahe der einstigen Trennlinie zwischen Ost und West, zu schenken. Als Zeichen der Hoffnung, aber auch der Erinnerung an die Mauer und als Mahnung, die weiter bestehenden Barrieren nicht aus dem Gedächtnis zu drängen. Immerhin waren im Belfast des Jahres 1992 Spaltung, räumliche Separierung durch Mauern, Beton und Stacheldraht nach wie vor bittere Realität. Derweil in Deutschland Mauern im Denken gefestigt wurden. Oder im ehemaligen Jugoslawien ein zermürbender grauenvoller Krieg nicht enden wollte. So glichen die Probleme in Belfast einem Mikrokosmos im Makrokosmos Welt.
In Gerry Gleasons Gemälde „Chairlift (Berlin to Belfast)“ ist eine Brücke verbindendes Glied zwischen den Menschen, zwischen Vergangenheit und Zukunft. Am Ende leuchtet ein Licht, schemenhaft noch, aber doch sichtbar. Die Menschen in der U-Bahn, die die Geisterbahnhöfe zwischen West und West unter dem Osten durchfahren, beachten einander kaum. „Nähmen die Menschen sich doch mehr Zeit füreinander“, so Gleason, der in der Begegnung, im Aufeinander-Zugehen eine wichtige Kraft sieht, auch um Schranken zwischen den Menschen, ihrer Religion, ihrer Nationalität zu überwinden.
Die episodische Grundlage des Gemäldes weist über sich hinaus. Gleasons Bild ist ein Signal der Hoffnung und der Zuversicht, die sich auch in der leuchtenden Farbigkeit und der Tranparenz des Rot und Blau spiegeln. „Ich versuche über die Schranken der Gegenwart hinaus in die Zukunft zu schauen, mich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen und sie als Teil der Geschichte, als notwendig für die Zukunft zu begreifen.“
Beate Lemcke
Abb. „Chairlift (Berlin to Belfast)“ Öl auf Leinwand 1989, ca. 198 x 171 cm, im Besitz der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha, Abb. unten privat

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