Irland für Fortgeschrittene
Endlich ein neues Buch von Ralf Sotscheck
Gleich zu Beginn wird nochmal ordentlich in die Klischee-Grabbelkiste gegriffen, um fortan alles Abgenutzte zu vermeiden: Der Einband von Sotschecks „Mein Irland“ ist grün (wie es weiland Flann O’Brien für alle gute Literatur reklamierte), und auf dem Schutzumschlag stehen sage und schreibe einundneunzig Schafe herum.
Ab dann wird es originell.
Wer sich über die Jahre in den feuilletonistischen Sotscheck verliebt hatte, dessen Geschichten – beispielsweise im Band „Gebrauchsanweisung für Irland“ – pointenreich geschrieben und immer für einen Lacher gut waren, der wird hier etwas kürzer treten müssen, aber die Vorzüge des Buches machen das mehr als wett. So ist „Mein Irland“ so gar nicht sentimental. Sotscheck ist Journalist von Profession, und das kommt der enormen Faktendichte zugute. Auch Irlandkenner finden Neues und Vertiefendes, Hintergrundinformationen zu breit gestreuten Themen, bekannten und entlegenen Orten.
Man kann gar nicht anders, als es in einem Ritt durchzulesen, denn spannend ist die vornehmlich als Reise entlang des Wild Atlantic Way angelegte Lektüre. Sotscheck amalgamiert Historie und Gegenwart, Fakten und Mythologie, Aberglaube und Bauernschläue zu erhellenden Abhandlungen unter anderem über das Pub-Sterben und Golf-Spielen, über Brasilianer in Irland oder Achill Island und Böll. Über den Autor selber erfahren wir dabei auch einiges. Als Korrespondent der taz und Verfasser mehrerer Bücher lebt er immerhin seit drei Jahrzehnten in Dublin, was ungefähr die Hälfte seines bisherigen Lebens ist.
In den letzten Jahren wurde Irland des öfteren von extremen Wetterlagen heimgesucht mit Stürmen und Überschwemmungen. Sotscheck klärt uns auf, dass anders als in ihrer anglisierten Variante viele irische Ortsnamen – wie Flutaue, Sumpf oder Marschland – bereits auf diese Gefahr hinweisen.
Wie ein Krimi liest sich das Kapitel über die Machenschaften des Ölmultis Shell, der vor einigen Jahren sein Auge auf ein großes Gasfeld vor der Nordostküste bei Rossport warf. Mithilfe der Politik kam es zu willkürlichen Grundstücksenteignungen, wer sich widersetzte, endete in Beugehaft. Fünf Männer saßen 93 Tage ein und lösten eine Welle der Solidarisierung und des Protests aus. Machten aber auch deutlich, wie schnell sich eine Gemeinschaft spalten lässt durch Geld und (leere) Versprechen.
Gegen Ende denkt man wie bei manchem guten Buch: Och, wieso hetzt er denn jetzt so? In diesem Satz steckt doch noch ein ganzes Kapitel und in diesem auch. Man möchte den Autor am Jackenärmel festhalten, spürt man doch, wie viel er noch weiß und zu erzählen hätte.
Also heißt es vorfreudig schon jetzt aufs nächste Buch von Ralf Sotscheck warten.
Beate Lemcke
(mareverlag 2016, 160 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, 18 Euro incl. Mwst)