Gary Shaw: Private View
(Eröffnung im März 2001)
Als ich den Maler Gary Shaw das erste Mal in seinem Belfaster Atelier
aufsuchte, ich glaube 1998, da war ich rechtschaffen ergriffen und heftigst
verwirrt im Angesicht dieses Konvoluts kleiner bunter Bilder. Ich wußte nicht
gleich, was es war, aber etwas daran brachte Saiten in mir zum Klingen. So
folgten ein zweiter und dritter Besuch, bei denen ich die Atelierwände von immer
mehr dieser kleinen Schätze bedeckt sah. Über fünfhundert Ölgemälde, allesamt
gerade mal von Postkarten-Format, müssen es schließlich im Januar diesen Jahres
gewesen sein, die da dicht an dicht bis unter die Decke des 25 Quadratmeter
großen Raumes hingen. – Ein betörender Anblick.
Da war das Gastspiel in Berlin schon verabredet.
Gary Shaw kommt aus Australien, vor Jahren hat es ihn aus Gründen einer
Freundschaft und von Abenteuerlust nach Belfast verschlagen. Ausgerechnet! mag
man da denken. Er ist ein Wanderer, ein Spieler, ein Suchender. Und daß er sich
da im Kreise seiner Künstlerkollegen in Nordirland, als Charakter unter
Charakteren gewissermaßen, wohlfühlt, ist nichts als die Wahrheit.
Die Palette der Farben, derer Gary Shaw sich bedient, ist umfänglich und
durchaus bizarr, was vielleicht auch mit seiner etwas anderen Art zu Sehen zu
tun hat, die landläufig mit farbenblind beschrieben wird.
Auf dem von Wettleidenschaft beseelten irischen Eiland kommt man am Thema
Pferderennen kaum vorbei. Doch nicht Wetteinsätze, nicht Reiter noch Roß
interessierten Shaw. Sondern die Jockey-Dresses. Shirts in bestimmten
Farbkombinationen mit grafischen Mustern. „Hillbilly“, „Whatadeal“ und „Mr No
Man“ sind somit mittelbare Inspirationsquelle der hier vorgestellten Arbeiten.
Eine andere ist die Landschaft. Da läßt die handflächengroße Malerei an die
überraschend steil sich auftürmenden Bergketten des Nordens denken und an sanft
geschwungene Täler, die dramatischen Wolkenszenarien am stets in Bewegung
befindlichen Himmel.
Pink, rot, türkis, violett, blau und grün treffen flächige Gebilde, Kreise,
Sterne, Streifen und Rechtecke aufeinander. In der Form streng abgegrenzt, doch
inhaltlich korrespondierend. Auf vielen Bildern ist die dicke Farbschicht so
strukturiert, daß sich ein Relief auf der Malhaut erhebt.
In ihrer Üppigkeit an Farben und Formen mag die Malerei zuweilen chaotisch
und schrill anmuten. Doch bleibt ohne Zweifel, daß eine starke poetische Kraft
sie beseelt. Und da liegt wohl der Schlüssel für die Wirkung, von der ich vorhin
sprach. – Die Bilder sind verinnerlichte Realität, künstlerisch ausgeworfen als
Abstraktion. Im Wahrnehmen durch den Betrachter, gebrochen an seinen eigenen
Naturerfahrungen und durch sein Empfinden und Erinnern werden sie gleichsam
rückverwandelt ins Gegenständliche.
Beate Lemcke
(Abbildung freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Gary Shaw, ausschließlich zur Illustrierung dieses Artikels, alle Rechte beim Künstler)