Jack Pakenham: Belfast/Berlin Scrolls

(Eröffnung im Februar 2003)

„The street explodes within my head“ – „Die Straße explodiert in meinem Kopf“
ist die erste Zeile aus einem Gedicht von Jack Pakenham und war auch der Titel
seiner Ausstellung in der Galerie „caoc“, wo ich 1992 erstmals der Malerei des
Künstlers aus Belfast begegnete. Seither habe ich ihn noch zweimal in
Deutschland getroffen – als er mit einem Eintagestrip nach Berlin für ein paar
Stunden dem unruhigen Moloch seiner Heimat entkommen wollte. Und einmal in einer
Diskothek in Kassel, wo der Endfünfziger mit seinen Backflips, seinen Salti
rückwärts, eine coole Techno-Gemeinde das schwitzende Staunen lehrte. Ich
besuchte ihn alle paar Jahre in seinem Belfaster Atelier, daselbst das letzte
Mal vor gut einer Woche.
Der Mann ist älter geworden, und die Pumpe hat ihn nicht nur einmal spüren
lassen, wie es ist, wenn sie ihre Dienste versagt, aber, verdammt – ein
„verrückter Hund“ ist er geblieben. Jedenfalls sah ich ihn Ende Januar im
angesagtesten Belfaster Blues-Club trotz gegenläufiger medizinischer Ratschläge
wieder – Rad schlagen.
Zu den weit verbreiteten Klischees über Irland gehört jenes von der visuellen
Blindheit der Iren. Eine nähere Beschäftigung mit der Kunstszene im Süden wie im
Norden Irlands widerlegt das,  wenngleich Dichtung und Musik immer die größere
Bedeutung hatten.
In Nordirland, wohin man trotz des seit 1994 bestehenden Waffenstillstands mit
Sorge blicken muß, hinterließ der seit 1968 dominierende gewalttätige Alltag
tiefe Narben. Der Begriff „Troubles“  wurde  zur schönfärbenden,
bagatellisierenden Umschreibung dafür.
Freilich war die Frage, wie man als bildender Künstler auf die politische
Situation, den von gewalttätigen Auseinandersetzungen, von Terrorakten und
religiöser Polarisierung gezeichneten Alltag reagieren kann, äußerst
kompliziert. Zu naheliegend die Versuchung des bloßen Dokumentierens, zu schmal
der Grat zwischen Kunst und Propaganda. Das Dilemma der Künstler wurde nicht
einfacher durch die soziale Isolation, ihre ökonomische Misere, ganz zu
schweigen von der schwierigen Situation an einem Standort mit nur
fragmentarischer Ausstellungs-Infrastruktur.
Zu den Künstlern, die auf ganz individuelle Weise den äußeren Verhältnissen
beizukommen suchten und suchen, durch die Findung universaler Symbole für das
Leiden, die Einordnung des Mikrokosmos Nordirland in das Weltganze mit seinen
gärenden Konflikten gehört Jack Pakenham.
Geboren 1938 in Dublin verbrachte er die meiste Zeit seines Lebens in
Nordirland. Notgedrungen immer auf  Tuchfühlung mit der sich dort abspielenden
Tragödie. Mitte der 70er Jahre trat „Freddie“, eine Bauchredner-Puppe, die er
seinem Sohn gekauft hatte, in die Bildwelt des Jack Pakenham. Mit dieser Figur
mit dem mal verlogenen, mal arglosen Grinsen, dem Körper mit den ungelenk sich
in groteske Posen begebenden, mal fragilen, mal wild um sich knüppelnden
Gliedmaßen war ein kraftvolles Symbol für Täter wie Opfer gefunden. Die Puppe
durchspielte das Ulster-Szenario in wechselnden Rollen.
Pakenham ergreift in seinen Bildern nicht vordergründig Partei und verführt
so auch den Betrachter nicht dazu, sich allzu schnell auf die eine oder andere
Seite zu schlagen. Zurück bleibt eher ein Beobachter, der sich wundert und den
graut. Ist es doch derselbe Mensch im Wortstamme des holden Versprechen
Menschlichkeit, der sich hinreißen läßt, im Dienste der Menschheit Kriege zu
führen und Haß zu schüren. Darin mag ein gewisser Fatalismus und Pessimismus
liegen. Dennoch – Pakenham läßt nicht ab vom Menschen. Auf seinen Scrolls, den
Bild-Bändern blitzen Ausschnitte auf aus dem unendlichen Spektrum dessen, was
das Menschenwesen ausmacht. In Pakenhams Zuwendung zum Menschen steckt eine Zuversicht,
die gebeugt, aber nicht gebrochen werden kann. Hoffnung, projiziert auf das Individuum und
das gesellschaftliche Wesen mit gestalterischen Fähigkeiten und sozialer
Kompetenz.

Beate Lemcke

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