Irland ohne rettenden Schirm
Eine Art Halali verkündet die pünktliche Landung von Ryanair in Dublin oder ist es Verkaufsjubel? Kurz vorher ließ sich das mit Reisebuch und Internet-Recherchen präparierte Ehepaar auf den Nebensitzen die teuren Aircoach-Tickets für die Busfahrt in die Stadt aufschwatzen. Die kosten mehr als das dreifache einer Fahrt mit dem Linienbus, und vielleicht hätte ich sie warnen sollen, aber Irland, das gerade den Rettungsschirm verließ, braucht jeden Cent.
Aufgekratzte Stewardessen reden einem jungen Mann zu, den halbvollen Trinkbecher nicht in der Maschine zurückzulassen, sondern auf die Heimkehr zu leeren: Cmon, one more sluug, an anodder wii drop… Brav trinkt er aus, dann wankt der Lädierte im Schneckentempo mit Klammergriff am Geländer die Gangway runter.
Auch meine Ankunft gestaltet sich suboptimal. Beim Chipper zieht mir die genervte Bedienung den Teller trotz bereits im Fisch steckender Gabel wieder weg, wegen Verwechslung. Das neue Mahl sieht blass aus und wird erst genießbar, nachdem ich Fisch und Chips nochmal ins Öl werfen ließ. Mein jahrelanger innerer Kampf ist vorerst entschieden: Goodbye, „Beshoff“, ich bin ab jetzt Stammkunde bei „Leo Burdock“. Selbstverständlich muss ein Fisch schwimmen, was sich mit der Idee vom Begrüßungs-Pint of Guinness deckt. Später wird der Bronze-James-Joyce auf der Earl Street North Zeuge, wie ich der Zechprellerei bezichtigt werde. Das hat man davon, wenn man nach alter irischer Sitte sofort zahlt.
Eingehüllt in den besonderen Sound Dublins mit seinen mövendurchkreischten Morgen mache ich mich auf zum Friedhof von Glasnevin. Brendan Behan, dessen Grab ich dort besuchen will, hat dem Royal Canal, den ich zunächst queren muß, ein Denkmal gesetzt mit seiner Interpretation von “The Auld Triangle” (verfasst von seinem Bruder Dominic für Brendans Theaterstück “The Quare Fellow”).
Die schwer befahrene Whitworth Road verläuft parallel zur Wasserstraße und weist nur auf einer Seite einen Fußweg aus. Ausgerechnet auf der anderen mahnt ein Verkehrsschild „Caution blind people training“. Das lässt ungute Gedanken an sadistische Spiele aufkommen, aber in der Nähe gibt es eine Institution für people with sight loss, und für die ist der schreckensreiche Trainingsparcours wohl gedacht.
Blumenläden und einige Vorgärten zeugen davon, dass das Alpenveilchen in Irland gerade eine Renaissance erlebt. Ausgerechnet diese vergessenen Pflanzen, derer – zumal im Osten Deutschlands – viele überdrüssig sind, waren sie doch über Jahrzehnte neben der Nelke die einzige florale Zier, an der kein Mangel herrschte.
In das Licht der tiefstehenden Januarsonne getaucht ist der Friedhof von Glasnevin schlechthin überwältigend. Die Weite, die Größe, der urtümliche Baumbestand!
Es braucht eine Weile, bis ich das ungeschmückte Grab von Brendan Behan gefunden habe.
Noch länger allerdings soll es dauern, als ich mich am Folgetag auf die Suche nach der Grabstätte meines irischen Lieblingsautors Flann O’Brien begebe, für dessen Theorie vom Molekülaustausch Mensch-Fahrrad ich schon häufig Belege gefunden zu haben glaube. Dass sie so schwer zu lokalisieren ist, liegt erneut an der Schmucklosigkeit der Ruhestätte. Und an des Meisters Pseudonymen. Soll ich nun nach Brian Nolan suchen, nach Brian O’Nolan, nach Flann O’Brien oder Myles na gCopalleen oder Gopaleen? Der Friedhof, ca. 12 Kilometer südlich von Dublin gelegen, ist noch größer als der in Glasnevin. Dafür weniger grün, graue Grabfelder soweit das Auge reicht. Schließlich stehe ich neben dem unscheinbaren Familienstein der Ó Nuallain’s, auf dem auch der Name Brian vermerkt ist und dass er 1966 verstarb. Nichts aber über seine Begabung („So hätte Joyce geschrieben, wenn er nicht bescheuert gewesen wäre“), kein Blümchen, nicht mal ein Alpenveilchen, nichts.
Ich bin froh, vorgesorgt zu haben und kippe einen guten Tropfen Whiskey auf seine „Schulter“, um dann selber einen Schluck zu nehmen, der Brisanz meiner Unternehmung angemessen.
Im Café am Friedhofstor drängt mich die warmherzige Bedienung, zwei alten Herrschaften zu erzählen, was ich am Grab gemacht habe. Die freuen sich, und der Herr zitiert sogleich aus The workmans friend : „When things go wrong and will not come right, Though you do the best you can, When life looks black as the hour of night – A pint of plain is your only man“.
Die fragile Greisin weiß zu berichten, dass sie zuweilen zuschauen darf, wie Brians jüngster Bruder Micheál mit Regenschirm durch Dun Laoghaire spaziert.
Später im Sweny, wo Leopold Bloom seine Lemon-Seife für Molly kaufte, erfahre ich von einem der Joyceaner, dass dieser ab und an O’Nolans Nichte Roisin in Dublin trifft. Er will ihr von meiner Whiskey-Attacke erzählen. (Tut mir ja selber leid, daß ich nicht des Dichters Lieblingstropfen Middleton dabei hatte…)
Übrigens war mir auf dem Rückweg aus Blackrock zum wiederholten Male aufgefallen, dass ich bei religiösen Slogans in Irland schwer zu ergründen vermag, ob etwas Ernst, Nonsens oder Ironie ist. So las ich an einer St. Thomas Kirche „Jesus is my rock and I am ready to roll!“ (?)
Ins Burdock in Temple Bar komme ich an meinem letzten Tag in Dublin gerade noch rechtzeitig, um einen Streit zu schlichten. Die Jungs am Frittiertopf diskutieren, was wohl die Hauptstadt von Deutschland sei – München oder Frankfurt. Ihr Herz immerhin scheinen sie am rechten Fleck zu haben, denn fürs Restgeld steht eine Schale auf dem Tresen „donations to kill Justin Bieber“.
Für mich geht es weiter nach Norden, und nun brauche ich doch einen Regenschirm.
Beate Lemcke (Januar 2014)
hallo beate
ich hatte einen schulfreund, da ging es um die frage, ob es holland oder neiderlande heißt – der sagte genervt, weil die jungs sich einfach nicht einigen konnten: spanien, das heißt spanien! und seitdem heißt er mit kosenamen selber spanien, deswegen: die hauptstadt von deutschland heißt bundeslade. danke für den grabmal-reisebericht aus dem jänner – nicht bloß für kenner. dein fan peter wawerzinek