Volker Mehner: Engel in residence

Schön, harmonisch und bar jeglicher Blessuren sind sie in der Kunstgeschichte anzusehen: die Engel. Laute spielend bei Bellini, unschuldig bei Tizian, Raffael oder Rubens.
Wie anders dagegen bei Volker Mehner. Da haben sie mächtig Federn gelassen und scheinen eigener Schutzengel bedürftig, wie sie da als bloßer Flügel, abgetrennt vom Leib und obendrein versehrt, in allerlei mißlichen Situationen anzutreffen sind. – Hinüber die holde Erwartung himmlischer Wesen. Es scheint paradox.

Engel als Konstante in der Kunstgeschichte

Was hat es nun mit dieser Engelswelt auf sich, die zu demontieren die lutherische Zeit begann, der Galilei die Naturwissenschaft entgegensetzte oder die Philosophen den Empirismus, Idealismus, Rationalismus. Sind die Engel nurmehr eine poetische Zutat zum Glauben, oder – folgte man der protestantischen Aufklärung – noch radikaler: nichts weiter als „metaphysische Fledermäuse“? Den Künstler Volker Mehner reizte der Stoff schon deshalb, weil er Engel in der Kunstgeschichte über Jahrhunderte als eine Konstante vorfand. Immer in tradierter Darstellung: musizierend, als Kinder und/oder mit Flügeln. Dabei sind sie rein geistige Wesen, besitzen Erkenntnis und Wollen, beschützen, verkünden, retten. Aber sie haben keine Stofflichkeit , und mithin ist ihr Aussehen gar nicht eindeutig.Engel Engel sind für Mehner nichts bestimmtes, viele Deutungen der Jetztzeit dünken ihn zu sehr vom Pelz esoterischer Verklärung überzogen.

Der Goldbroiler auf dem Kneipenteller

„Ein Engel könnte doch auch Teufel sein oder Huhn“, lästert er. In seiner Auseinandersetzung damit stieß Volker Mehner vor Jahren auf einen Text von Heiner Müller, in dem poetisch die Gestalt des Himmelsboten nurmehr hörbar ist als Flügelschlag, ein Rauschen. Zu selber Zeit schwamm auf der Berliner Spree, in deren Nähe er wohnte, ein kompletter abgetrennter Schwanenfittich, und auf Mehners Kneipen-Teller glänzte ganz prosaisch ein Goldbroiler im Fett. Da wußte der Künstler, daß er den Engel reduzieren kann auf einen Flügel.. Ironisierend versetzt Volker Mehner seine Engel in mehrerlei Konstellationen. Da wäre der Engel im Bergwerk, wo er vom Geröll zerquetscht zu werden droht. Der Selbstmordengel, der am Galgenbaume leise weht im Wind, derweil die offene Kiste ungeduldig ihrer Bestimmung harrt. Weiter sind zu entdecken der Schutzengel, der Kannibale, der surrealistische Engel. Der in kränkelnden Hitzewallungen erschaudernde Fieberengel, ein begrabener Engel und ein gänzlich abwesender. Mit dem Tam Tam kräftiger Farbtöne treten die Engel auf den Gouachen auf: Leucht-Orange, Rot, Rosa gegen erdig-irdenes Grau, Olive und Braun. Comic und Malerei scheinen dabei zu einer homogenen, einer eigenen Bildsprache zusammengeführt.

Beschenkt mit der Gabe der Selbsterkenntnis

Mehner folgt Traditionslinien und geht doch einen ganz eigenen Weg.
Seine Bilder sind intuitiv erfaßbar und gleichwohl intellektuell, sprechen Sinne und Geist an. Und wenn Engel denn reich mit der Gabe der Selbsterkenntnis beschenkt sind – was ihnen den Analytiker spart – so kann sich der Betrachter Mehners Bilder selbst beschenken – je nach dem, wie weit er sie sich zu erschließen geneigt ist.

Beate Lemcke zur Ausstellung mit Holzschnitten/Goauchen auf Leinwand
(14.10. bis 31.12.2006)

(Abbildung freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Volker Mehner, ausschließlich zur Illustrierung dieses Artikels, alle Rechte beim Künstler)

 

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