Shane ist Shane

MacGowan ist einer der größten Poeten unserer Tage
Dämliche Idee mancher Rundfunkstationen, in letzter Zeit alle Flüche und Schimpfworte in „Fairytale of New York“ mit einem zensierenden Beep zu überlagern. Als würde in einem Song über Suff und Ausnüchterungszelle, geschrieben von einem Punk, mit Engelszungen gesungen (https://irish-berlin.de/weihnachten-und-fairytale-of-new-york-10036/). Wenn der Verfasser dieses Songtextes wie auch von „Rainy Night in Soho“ oder „Streams of Whiskey“ eines ist, dann kompromisslos und authentisch. Die, die ihn näher kennen, bringen es auf die Formel: Shane ist Shane.
Geboren wurde Shane MacGowan am Weihnachtstag 1957. Der Junge irischer Eltern wuchs bei Tanten und Onkels in einem Farmhaus in Tipperary auf. Manche sagten seinerzeit in Irland, wenn man arm sei, müsse man sich zwischen Essen und Trinken entscheiden, für beides reiche das Geld nicht. Und da sei Guinness so eine Art dritter Weg, weil zugleich Essen und Trinken. Das ist nicht nur eine Legende. Der Plan dieser Erwachsenen, den kleinen Jungen zeitig mit Alkohol (Whiskey!) Bekanntschaft schliessen zu lassen, damit er sich später davor ekeln solle, ist eindeutig gescheitert. Man möchte diesen Menschen jetzt noch eine Kopfnuss dafür verpassen.
Der Küchenboden wurde zum Tanzboden
Abgesehen davon kann es allerdings nicht so verkehrt gewesen sein in diesem schlichten Haus, in dem immer viele Leute waren und wo das Singen, Musizieren und Geschichtenerzählen zum Alltag gehörten. An jedem Wochenende wurde der Küchen- zum Tanzboden, manchmal auch unter der Woche. Die Tante betete abends ihren Rosenkranz nicht ohne mit einem „Brits out“ zu enden. Shane absorbierte das alles und hatte fürderhin ein Künstlerleben lang „a story to tell“

MacGowan ist Ire und auch nicht. Denn die prägende Jugend, die Pubertät, die Anfänge seiner Musikerlaufbahn fanden in Großbritannien statt. Was ihn wiederum (man kennt das von anderen irischen Dichtern und als Dichter sehe ich ihn unbedingt) besonders eng an Irland band. Diese Kultur des Storytelling, der schwermütigen Balladen und fröhlichen Jigs und Reels trägt er im Herzen, das Moderne eines Joyce, das Urkomische eines Flann O’Brien, das Rebellische eines Brendan Behan.
Fokussiert auf seine Kunst
MacGowans erste Band waren – nichts für zartbesaitete Zensoren – die Nips, ausgeschrieben: Nippel Erectors, danach waren es The New Republicans, dann Pogue Mahone (vom Irischen Póg mo thóin/ Küss meinen Arsch abgeleitet), verkürzt zu den Pogues. Einer hat ihn da schon lange im Blick gehabt, Julien Temple, der die Sexpistols in ihrem Aufbruch filmte und dabei im Publikum einen besonders wilden und engagierten Fan ausmachte, der untrüglich selber das Zeug zum Punk hatte: Shane MacGowan.
Schon in jungen Jahren wirkte MacGowan gleichermaßen runter wie munter. Oft ein wenig, öfter sehr neben der Spur. Aber auch wach, selbst bei seinen letzten Konzerten, zu denen mancher Fan schon mied zu gehen, um sich „das nicht anzutun“, wurde – wer es riskierte – entlohnt, denn dieser MacGowan schaffte es gespenstisch strauchelnd gerade so auf die Bühne. Und dann schaltete er ein inneres Licht an, fokussierte auf seine Kunst und alles wurde gut.
Nicht schön im klassischen Sinne
Der vieljährige Drogenkonsum und zuletzt Hüft- und Kniefrakturen haben den Barden sichtlich gezeichnet. Aber schön im klassischen Sinne war er eh nie. Eine andere Schönheit war das, über Äußerlichkeiten stehend. Ich fand ihn hinreißend seit ich Anfang der 1990er ziemlich exzessiv seine Songs hörte und seither nie genug davon bekam. Diese Mischung aus Rotzigkeit und Sanftmut, unbeschreiblich! Für ihn würde ich mich sogar zu der Behauptung hinreißen lassen, dass ein vollständiges Gebiss eh nur so eine bürgerliche Kategorie ist (geklaut vom Känguru), aber das ist ja längst Vergangenheit…(ein Dentist aus den Staaten, so heisst es…)
Nun ist Julien Temples Film „Crock of Gold“ endlich auch in den Kinos hierzulande zu sehen, und ich habe mit Vergnügen das Filmplakat mit des Sängers Konterfei in den goldenen Rahmen gefügt, der ihm gebührt.
Im Trailer zum Film ist zu hören, wie Shane MacGowan über die Band The Pogues sagt: „Wir sind besser, wenn wir nüchtern sind. Aber es macht keinen Spaß. Also trinken wir.“
(Kinostart in Deutschland 18. August 2021, DVD wohl im Januar 2022)
Beate Lemcke, August 2021

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