Lachen, schreien, sich Gin über den Kopf gießen

Louise Kennedys Erzählungen hinterlassen tiefen Eindruck

Das ist mal eine Holywood-Geschichte, wie sie einem gefallen kann! Wohlgemerkt Holywood mit einem l. Es ist dies eine Stadt in der nordirischen Grafschaft Down am südlichen Ufer des Belfast Lough. Dort wuchs Louise Kennedy auf (ab 12 dann in Dublin und Kildare), die dreißig Jahre als Köchin und Küchenchefin in der gehobenen Gastronomie gearbeitet hat ehe sie als Schriftstellerin Furore machte. Mit Mitte fünfzig veröffentlichte sie ihren ersten Roman, das war 2022. „Übertretung“ wurde weltweit ein Erfolg und in deutscher Übersetzung bei Steidl verlegt, wo nun auch ein Band mit 15 Erzählungen erschienen ist. „Das Ende der Welt ist eine Sackgasse“ kam in der Originalausgabe „The End of the World is a Cul de Sac“ 2021 bei Bloomsbury raus.

Allgemeingültige menschliche Themen

Die Autorin ist eine Urgewalt, so packend und lebendig wie sie schreibt. Das Dilemma, vor das sie ihre Leser damit stellt, sind zwei widerstreitende Kräfte. Man will das Buch nonstop verschlingen. Gleichzeitig stellt sich nach jeder Erzählung ein Gefühl der Erschöpfung ein. So überflutet von Eindrücken und Gefühlen ist eine Pause nötig, in der sich alles setzen kann.

Die Themen, die Kennedy verhandelt, sind allgemeingültige menschliche. Wir treffen auf Männer und Frauen, die einander verletzen, bewusst und mit Lust. Geraten auf Dorffeste und lernen heidnische Bräuche kennen. Oder Traditionen wie die Jagd und dazu ein Paar mit komplett gegensätzlicher Haltung zum Thema, man kann das Gemetzel (emotional und mittels Waffe) geradezu riechen.

Irland ist oft präsent, die Politik des Landes, die Geschichte mit ihren Hinterlassenschaften aus Jahrhunderten der Unterdrückung durch die Krone. Die Zeit des Nordirlandkonflikts, der wie Metastasen Misstrauen gestreut hat.

Kennedy beschönigt nichts

Treiber des Geschehens sind wirtschaftliche Probleme und die privaten, die daraus resultieren. – Oder ist es umgekehrt? Die erste Erzählung, die Titel gebende, ist inspiriert vom Absturz des Celtic Tiger und dem Platzen der Immobilienblase. Tausende Rohbauten stehen seither in Irland leer und verfallen, unzählige Familien sind daran zerbrochen.

Kennedy beschönigt nichts, auch beim Thema Kinderkriegen und -betreuen und ohnehin nicht das Grauen einer ungewollten Mutterschaft. Sie findet eine klare Sprache für toxische Beziehungen und Ehebruch. Das Leben einer Familie erzählt sie in Fotos. Oder sie berührt mit der Geschichte um einen Wunderheiler und lässt nicht außen vor, wie schmal der Grat zwischen hilfsbereiter Zugewandtheit und abzockender Scharlatanerie ist.

Verzweiflung liegt in der Suche zweier Freundinnen nach dem Kick, dem kleinen Glück. Sie fahren zusammen in den Urlaub wobei das Reiseziel zufällig, gar aus Versehen gewählt ist. Hauptsache weg und dem Ehemann eins auswischen, weil er die Frau nicht mehr sieht und ihre Bedürfnisse ignoriert.

Kleinste Details offenbaren Großes

In Dreiecksbeziehungen haben die Protagonisten Leichen im Keller (oder in der Heidelandschaft). Es ist fast schon egal, ob man lacht, schreit oder sich Gin über den Kopf gießt. So ist das Leben.

Louise Kennedy zeigt uns Menschen, die in Verhältnisse verstrickt sind, denen sie nicht zu entkommen vermögen. Diese beschreibt sie so wahrhaftig und weise, dass sie das ganze Leben durchdringt. Kleinste Details offenbaren Großes und fördern das Unaussprechliche zutage. Das ist Schreibkunst!

Manche der brillant geschriebenen Erzählungen hinterlassen mehr als einen tiefen Eindruck, sie erschüttern geradezu. Die Magie in Kennedys Art zu erzählen lässt ihre Geschichten lange nachhallen. Man spürt die Orte, fühlt mit den Figuren und spinnt die Bilder und Szenen in Gedanken weiter. Die kurze Form erlaubt dem Leser zu assoziieren, sich die Bilder weiter auszumalen. Die Phantasie gerät gehörig in Bewegung.

Kennedy nimmt ihre Leser mit ins Leben, in die Realität der stimmigen, detailreichen Erzählungen. Dabei urteilt und verurteilt sie nicht und lässt jeden selber eine Haltung finden.

Im Anhang des Buches dankt die Autorin ihrer Schriftstellerkollegin Una Mannion „…dafür, dass sie mir gesagt hat, dass ich es kann, als ich dachte, ich könnte es nicht.“

Diese Louise Kennedy ist nicht von dieser Welt und ein Geschenk für die Literatur.

Beate Lemcke (im Mai 2025)

Louise Kennedy „Das Ende der Welt ist eine Sackgasse“, aus dem Englischen von Claudia Glenewinkel und Hans-Christian Oeser, Steidl Verlag, 256 Seiten, Leineneinband mit Lesebändchen, 25 Euro

 

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