Kalte nasse Kabel unterm Wasser

Colum McCanns Roman „Twist“ lässt uns abtauchen in unerforschte Tiefen

Die Anziehung ist unverkennbar und doch schleichen da zwei Männer umeinander wie um den heißen Brei. Fasziniert vom Wesen und Wissen des anderen, sich öffnend und wieder in Distanz flüchtend. Fragen und Austausch schaffen eine Nähe, die Argwohn und Schweigen sodann zunichte machen.

Der Schriftsteller und Journalist Anthony Fennell aus West Meath im Süden Irlands ist nach Kapstadt gereist, um für ein Projekt zu recherchieren. Er sucht nach Informationen über die weltumspannenden Unterseekabel, die unsere Kommunikation via Internet ermöglichen. Kabel, die gewartet und repariert werden müssen. So trifft er auf John Conway, Missionschef auf einem Kabelreparaturschiff, der ganz aus dem Norden Irlands von der Insel Rathlin Island stammt.

So wie der Süden und der Norden Irlands als Gegenpole gesehen werden können, sind es im Roman der, der fragt und der, der (mehr oder weniger) antwortet. Ihre Beziehung aus Bewunderung und Empathie trägt durchaus liebevolle Züge, ist jedoch auch von Zweifeln, Sorge und Misstrauen geprägt.

Kurzzeitig freie Sicht

Colum McCann hat „Twist“ raffiniert gebaut ohne dass die Raffinesse offenkundig würde. Spätestens dann wird sie spürbar, wenn sich beim Lesen der Atem anzupassen scheint. Wie bei Tauchgängen… die Luft anhalten… – zählen… – ausatmen.

Der irische Autor, der in New York lebt, hat eine angenehme Art zu erzählen. Einfach und literarisch, mit vielen im täglichen Umgang ungebräuchlichen Worten. So wie die Männer einander umkreisen schweben die Worte im Raum. Priele, Bermen, Schelf. Begriffe aus der Seefahrt, vom Meer, der Kabeltechnik. Wie durch Milchglas ist das Geschehen schemenhaft zu sehen bis kurzzeitig das Glas klart und die Sicht freigibt.

Wahrscheinlich verorten die meisten Menschen die Cloud mit ihren Nachrichten und Fotos, mit all den Daten, in der Luft. Dabei wird nur ein Bruchteil des Internets über Satelliten abgewickelt. Vielmehr leiten Kabel auf dem Meeresgrund unsere Informationen. Milliarden Impulse senden Texte und Stimmen von A nach B. Sie schießen in Lichtstrahlen durch hauchdünne Fasern aus Glas. Greifbar als kalte nasse Kabel unterm Wasser. McCann selber ist auf Schiffen mitgefahren und hat sich das Tauchen beibringen lassen. Im Roman ist es Fennel, der erlebt, forscht, schreibt und uns Leser dabei mitnimmt. Tauchen, so wird offenbar, ist wie Schweben im All, im inneren All. Der Körper schaltet unter Wasser auf frühere aquatische Lebensumstände zurück.

Angst, zu viel ändern zu müssen

Durch Erdrutsche und Vulkanausbrüche unter dem Meer oder durch Fischereiunfälle in Küstennähe gehen immer wieder Kabel unter Wasser zu Bruch. Da ist schnelle Abhilfe gefragt, denn es geht um viel Geld. Jedes Kabel bringt den Besitzern Milliarden ein. Ihre Gier geht einher mit Kurzsichtigkeit was Nebenwirkungen für Menschen und Umwelt angeht. Die Konzerne, die die Kabel kontrollieren, kontrollieren auch die Informationen. „Der alte Kolonialismus wurde in eine Ummantelung gestopft“.

Conways Partnerin Zanele, die in einer Township Kapstadts aufwuchs, stößt Fennel bei seiner Suche nach Fakten auf die jährlich vier Milliarden Tonnen Industrieabfälle, die im Meer landen, und setzt damit bei ihm Gedanken in Gang, die mehr sind als eine Statistik. „Wenn der Ozean eine Bank wäre, hätten sie ihn längst gerettet“, sagt Zanele, „aber sie haben Angst, sie könnten zu viel ändern müssen.“

Die niederen Instinkte des Menschen

In seiner vor 125 Jahren erschienenen Novelle „Herz der Finsternis“ schickt Joseph Conrad Kapitän Marlow auf einem Dampfschiff den Kongo aufwärts. An diese Reise ins Finstere eines Kontinents fühlt Fennell sich erinnert, er hatte das Buch als Kind gelesen. Es galt in Irland als das perfekte Kolonialporträt der Briten.

Das Herz der Finsternis weist auf die Abwege europäischer Eroberungen, auf Lüge und Schuld. Der dünne Firnis der Zivilisation wird offenbar. Darunter scheinen die niederen Instinkte des Menschen durch, die von ihnen erschaffene Hölle auf Erden.

Der Ozean ist kein leerer Ort, sondern ein Gegenstand, über den die Menschen wenig wissen. An einer Stelle im Buch heißt es, die Krankheit unserer Tage sei, dass wir so viel Zeit an der Oberfläche verbringen. Colum McCann nimmt uns mit in die unerforschten Tiefen, zu den Knotenpunkten im Weltverkehr. Die Technik verbindet die Menschen und birgt zugleich ein enormes zerstörerisches Potential. Mit Fennel erfahren wir, dass das erste Rätsel jeder Reise nicht so sehr ist, wo sie enden wird, „sondern wie du überhaupt an den Ausgangspunkt gekommen bist.“

Beate Lemcke (im April 2025)

Colum McCann „Twist“, übersetzt von Thomas Überhoff, Rowohlt, gebundene Ausgabe mit Lesebändchen, 409 Seiten, 28 Euro

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